Die Jazzszene Niedersachsen erinnert
Horst Wagner
* 27. März 1933 in Bad Sachsa
† 20. November 2018 in Hannover
Ich hatte ein wundervolles und langes Leben.
Aber irgendwann muss ja eben auch mal Schluss sein.
Und jetzt wurde ein Bassist im Himmel gebraucht.
Herrlich!
Es war eine ungewöhnliche
und bewegende Trauerfeier Ende
November in der Kirche der St. Marien
Gemeinde Grasdorf. Der Musiker Horst Wagner war im Alter von 85 Jahren
verstorben. Sein Kontrabass wurde neben
dem Sarg des Musikers aufgestellt und
versinnbildlichte eindringlich die große Leidenschaft Wagners, der in zahlreichen
Ensembles aktiv war. Bis zum Lebensende stand er zum Beispiel mit dem eigenen Jazz-Quartett auf diversen Bühnen. Bei der Trauerrede wurde daran erinnert, dass Wagner schon mit Lionel Hampton und Herbie Hancock musizierte und in Musikabteilungen vom Klavierhaus Döll bis Brinkmann die immer richtigen Instrumente empfahl.
HAZ, Jan Sedelies, 19.01.2019
Gesichter der Südstadt
Respektlos gesagt, gehört er beim Maschseefest schon fast zum Inventar, im Jazzclub geht er ein und aus, und wenn Horst Wagner erzählt, kommt er von einer Legende zur anderen. Beispielsweise von Lionel Hampton, der zum Abschluss eines furiosen Solos am Rumset immer auf die Trommel sprang. Hampton gastierte Ender der 60er Jahre im „Tabu“, einer Kellerbar in der Luisenstraße. Er holte Wagner zur Session auf die Bühne.
Oder von einem Besuch in New York bei Freunden. Kaum dem Flugzeug entstiegen, stolperte Wagner über den Pianisten Tommy Flanagan. „Du mußt sofort spielen,“ sagte Flanagan, und aus der geplanten Sightseeing-Tour wurden neun Nächte, in denen Wagner von einem Jazzclub zum anderen weitergereicht wurde.
Der 73jährige aus Bad Sachsa wohnte jahrzehntelang an der Hildesheimer Straße. Vor wenigen Jahren hat er in Reihen ein Reihenhaus gekauft, der Südstadt ist der gelernte Großhandelskaufmann immer noch verbunden: dreimal in der Woche absolviert er bei Gaby in der Großen Düwelstraße ein mehrstündiges Fitnesstraining für den Rücken. „Schon fast wie ein Nebenjob,“ schmunzelt Horst. Und seit 20 Jahren ist er während des Maschseefestes an jedem Sonntag zusammen mit dem Christian von der Osten-Trio zwischen 11 und 14 Uhr zu erleben, so auch am 6. und am 13. August – der Auftritt des Trios ist schon fast Kult. Musik hat Wagner seit der Kindheit begleitet. Erst kam das Akkordeon, dann sollte es ein Klavier werden, schließlich wurde es der Kontrabass – das Rückgrat einer Band, wie Duke Ellington, der große Jazzimpressario, einmal angemerkt hat. Kein Wunder: der rhythmische Drive des Basses bremst voreilige Pianisten aus, treibt schleppende Schlagzeuger an und sorgt beim Jazz zusammen mit Gitarre für ein dichtes harmonisches Fundament, auf dem die Bläser improvisieren können. Und als Soloinstrument ist er hin und wieder auch zu hören.
Wagner begann zunächst als Autodidakt. Das spätere Studium bei Professor Horst Stöhr, der einen Lehrstuhl für klassischen Bass and der Musikhochschule innehatte, hat ihm auch beruflich genützt: In Hannover baute er im Klavierhaus Döll die Musikabteilung auf, später war er dafür bei Brinkmann auf der Georgstraße zuständig, und Tausende von Musikern haben sich bei ihm Rat für den Kauf eines Instrumentes geholt. Und immer hat Wagner Musik gemacht: in Hamburg mit der NDR-Bigband, in Berlin bei den Jazztagen, bei einer Europatournee, zu der ihn Altsax-As Sonny Stimmt eingeladen hatte, und inzwischen häufig mit Pianomann Curt Prina vom legendären Hazy-Osterwald-Sextett, und regelmäßig mit der Bigband Barsinghausen. „Schon ein verrücktes Leben,“ lächelt Wagner. Und erinnert sich gleich an ein Konzert mit Tenorwunder Dexter Gordon. „Hast Du unseren Film gesehen?“ fragte der Amerikaner kurz danach. Wagner, eher bescheiden und zurückhaltend, hatte nicht: er wußte nicht einmal, dass gedreht wurde. Startrompeter Miles Davis saß bei der Premiere in der ersten Reihe. Auch mit ihm hatte Wagner „gemuckt“.
Der Ruhestand ist für Wagner eher Unruhestand: „Ich werde immer wieder gefragt, ob ich Zeit und Lust zum Einsteigen habe,“ sagt er. An der Lust fehlt es nicht. Schon eher an der Zeit, denn Ehefrau und Kinder fordern auch ihr Recht.
Peter Becher, 2006